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Freitag, 16. Mai 2014

Nicht besser, nur anders?


Von unserem Redaktionsmitglied
Maria Kessing


Kaum verschreibt der Augenarzt die erste Gleitsichtbrille, erscheint die Vergangenheit in neuem Glanz. Ab einem bestimmten Alter scheint man sich fast einig zu sein: Früher war alles besser. Stimmt das wirklich?
Auch ich  habe mich in dieser Woche wieder einmal bei diesem Gedanken ertappt. Und das kam so.
In einem alten vergilbten Zeitungsband von 1992 wälzte ich nach den Artikeln über den Wechsel an der Spitze der SPD-Fraktion vor 22 Jahren, als Norbert Bing zum Nachfolger von Georg Schmiele gewählt wurde.


Norbert Bing hat ja recht: Damals genügte es, wenn sich die Altvorderen im Stadtrat mit Blicken verständigten, weil eine Sache festgefahren war. Man zog sich in ein stilles Kämmerlein zurück und suchte  nach einem Kompromiss. Und oft fand man auch einen Konsens. Zwei, die diese hohe Kunst der Kommunalpolitik verinnerlicht hatten, sind zweifelsohne Herbert Faust (CDU) und Georg Schmiele (SPD) gewesen.  Zwei Männer, die sich mit großem gegenseitigen Respekt begegnet sind  - und das immer zum Wohle der Stadt Ahlen. Dabei hat das förmliche "Sie" statt des heute verbreiteten vertraulichen Du nie eine produktive Zusammenarbeit erschwert.


Heutzutage im Zeitalter des Internets gibt oftmals in regem E-Mail-Verkehr ein Wort das andere, das persönliche Gespräche bleibt  leider auf der Strecke. In der Hektik des politischen Geschäfts  kommen vertrauensbildende Maßnahmen viel zu kurz. Aber liegt das nicht auch an den handelnden Personen?


Als ich mich dann in dieser Woche im Fotoarchiv auf die Suche nach Bildern von Norbert Bing machte,  begegneten mir auch viele andere Ratspolitiker, von denen viele nicht mehr leben.
Zum Beispiel: der immer eine Zigarre rauchende Hans Bücker, seines Zeichens CDU-Fraktionschef,  der immer fröhlich-lächelnde Erich Steiner, einstmals stellvertretender Bürgermeister der SPD, der Kulturdezernent Christian Schmidt-Casdorff, der in Ausschuss-Sitzungen gerne  und lange strukturierte, der immer quer-denkende und manchmal auch treibende Ludger Schulte, der die Geduld des Planungsausschuss-Vorsitzenden Herbert Faust auf manch harte Geduldsprobe gestellt hat.


Und nicht zuletzt der "schöne Walter" (Stadtdirektor Dr. Priesnitz),  auf  einem Foto vor dem Ratssaal mit einem Sack Kartoffeln, um den er mit DKP-Chef Erhard Witulski gewettet hatte.
Dem Alt-Kommunisten ginge heute wie damals wahrscheinlich das Klappmesser in der Hosentasche auf, wenn er auf eine Stufe mit dem von der CDU propagierten "Linksbündnis",  das den Haushalt verabschiedet hat, gestellt worden wäre. Denn unter "Links" hat Witulski etwas ganz anderes verstanden -  auf keinen Fall eine Verbrüderung zwischen SPD, Grünen, Linken, Bürgerlicher Mitte und Freien Wählern. So ändern sich halt die Zeiten.


Bin ich auch so eine Nostalgikerin, wie eine Kollegin meinte,  weil ich mit verträumten Blicken die alten Fotos betrachte. Vorbei die gute alte Zeit?
Ja, manches war früher sicher besser - und anders.  


Den klügsten Satz dazu hat der große Philosoph Karl Valentin gesagt:  Und heute ist die gute, alte Zeit von morgen."

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